Jährliche Auskunftspflicht für Verlage:
Horst Ohligschläger im Interview mit
Dr. Holger Weimann
Im Juni 2021 wurde die EU-Richtlinie zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des Digitalen Binnenmarktes in deutsches Recht umgesetzt. Die Zeitschriftenverleger begrüßten das als einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“, da das neue Gesetz die Eigentumsrechte der Verlage gegenüber den Digitalmonopolen stärkt. Weitgehend unbemerkt blieb damals jedoch ein anderer Aspekt: In § 32d sieht das neue Urheberrecht eine jährliche Auskunftspflicht für die Vertragspartner von Urhebern vor. Was bedeutet das für die Verlage? Horst Ohligschläger, CEO von Roularta Media Deutschland und Erster Vorsitzender des Verbandes der Zeitschriftenverlage in Bayern (VZB) sprach darüber mit dem Münchner Medienanwalt und Partner von Advant Beiten,
Dr. Holger Weimann.

Horst Ohligschläger, CEO Roularta Media & Erster Vorsitzender VZB
Horst Ohligschläger: Herr Dr. Weimann, nach dem neuen Urheberrecht müssen Vertragspartner wie etwa Verlage die Urheber jetzt „über den Umfang der Werknutzung und die hieraus gezogenen Erträge und Vorteile“ informieren. Was genau bedeutet das für die Verlage?
Dr. Holger Weimann: Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Umkehrung der bisherigen Regelung. Auch der alte Paragraph 32d kannte ein Auskunftsrecht. Doch bisher musste der Urheber seinen Anspruch gegenüber dem Vertragspartner aktiv geltend machen, was in der Praxis so gut wie nie vorkam. Jetzt müssen die Verlage mindestens einmal im Jahr automatisch Auskunft erteilen, unabhängig davon, ob ein Urheber überhaupt Auskunft haben möchte. Das ist ein großer Unterschied.
Horst Ohligschläger: Doch wie bemisst man die Bedeutung eines Werkes für den wirtschaftlichen Erfolg eines Magazins? Wem muss jetzt Auskunft erteilt werden? Jedem freiberuflichen Journalisten, egal, wie groß oder klein sein Textbeitrag ist, oder es geht eher um die Autoren von Titelgeschichten?
Dr. Holger Weimann: Diese Frage kann ich Ihnen leider nicht abschließend beantworten. Im Gesetz heißt es, dass die Pflicht nicht besteht, wenn es lediglich um einen „nachrangigen Beitrag zu einem Werk“ geht. Wer nur geringfügig an einem Artikel mitwirkt, hat deshalb kein Auskunftsrecht. Viel bedeutsamer ist aber die Frage, ob ein einzelner Artikel oder ein einzelnes Foto im Verhältnis zu einer ganzen Zeitschriftenausgabe betrachtet werden muss. Zeitschriften sind nämlich Sammelwerke und deshalb ist diese Sichtweise nicht abwegig. Bei dieser Interpretation ist fast jeder Einzelbeitrag nachrangig, wenn man mal von der Titelgeschichte absieht. Wir wissen noch nicht, wie letztlich die Rechtsprechung ausfallen wird. Im Moment bewegen wir uns also auf unbekanntem Terrain. Wie bei jedem neuen Gesetz werden es die Gerichte sein, die solche konkreten Fragen nun beantworten müssen. Mit der Zeit entsteht dann ein genaueres Bild davon, wie das Gesetz zu verstehen ist.
Horst Ohligschläger: Versuchen wir, das zusammenzutragen, was man weiß. Ab wann müssen Auskünfte erteilt werden?
Dr. Holger Weimann: Das kommt darauf an, wann der Vertrag mit den Urhebern abgeschlossen wurde. Für Verträge, die nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes im Juni 2021 vereinbart wurden, muss die Auskunft bis zum 7. Juni 2022, rückwirkend für den Zeitraum von bis zu zwölf Monaten, erfolgen. Bei Verträgen mit Urhebern, die bereits vor dem Juni 2021 bestanden, haben Verlage mehr Zeit. Hier hat die Auskunft erst im Juni 2023, rückwirkend für einen Zeitraum von 12 Monaten, zu erfolgen.

Dr. Holger Weimann, Rechtsanwalt Advant Beiten – Foto: Christian Rudnik
Horst Ohligschläger: Wer genau darf sich als Urheber bezeichnen?
Dr. Holger Weimann: Ziel des Gesetzes ist es, Urheber in eine Situation zu versetzen, dass sie nachvollziehen können, ob sie angemessen vergütet wurden und ob sie gegebenenfalls Zusatzansprüche geltend machen kann können. Das betrifft Autoren von Texten, aber ebenso freie Fotografen und Illustratoren. Fotografen, die ihre Bilder über Bildagenturen vermarkten, müssen sich mit ihrem Auskunftsanspruch an die Bildagenturen wenden. Das Gleiche gilt für Textjournalisten, die für Nachrichtenagenturen arbeiten. Für sie sind die Verlage nicht zuständig. Nicht als Urheber gelten Menschen, die nur leitend, planerisch oder recherchierend tätig sind. Auch Mitarbeiter in der IT, die zum Beispiel Computerprogramme erstellen, sind ausgenommen. Und auch die Drittnutzung von Inhalten, wie etwa durch Facebook, ist von der Auskunftspflicht nicht erfasst.
Horst Ohligschläger: Was ist mit festangestellten Autoren?
Dr. Holger Weimann: Hier wird es wieder diffizil. Das Gesetz nimmt angestellte Redakteure und Fotografen nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich aus. Allerdings räumen Arbeitnehmer immer umfassende Rechte ein und diese Rechtseinräumung ist mit dem Gehalt abgegolten. Wozu brauchen Sie dann noch eine Auskunftspflicht? Die Frage, ob sie angemessen dafür vergütet wurden, ist mit dem Gehalt beantwortet. Erst recht, wenn die Gehälter das Ergebnis von Tarifverhandlungen zwischen Verlagen und Gewerkschaften sind.
Horst Ohligschläger: Was genau ist unter den „Erträgen und Vorteilen“ zu verstehen, die Verlage aus der Werknutzung ziehen?
Dr. Holger Weimann: Verlage müssen darüber Auskunft geben, ob sie dank der Werknutzung Erträge in den verschiedenen Verwertungsformen (z. B. Print, Digital, Social Media) erwirtschaftet haben. Dabei geht es um die Vertriebserlöse, die anhand von Ausgabe und Auflage dokumentiert werden können. Über Werbeerlöse muss man wohl keine Auskunft erteilen, da diese nicht mit dem einzelnen Werk in Bezug gesetzt werden.
Horst Ohligschlger: Verlage, die redaktionelle Inhalte im Netz verbreiten, diese aber nicht hinter einer kostenpflichten Paywall verbergen und die auch keine Online-Anzeigenerlöse generieren, müssen darüber also keine Auskunft erteilen?
Dr. Holger Weimann: Doch, Auskunft erteilen müssen sie schon. Die Auskunft lautet eben dann, dass die Bereitstellung der Inhalte kostenlos erfolgte und es daher keine Erlöse für diese Inhalte gab.
Horst Ohligschläger: Nicht wenige Verlage befürchten, auf diese Art und Weise einen sehr intimen Einblick in ihre Bücher zulassen zu müssen. Außerdem scheuen sie den mit der Auskunftspflicht verbundenen bürokratische Aufwand.
Dr. Holger Weimann: Ganz so schlimm ist es Gott sei Dank nicht. Die Verlage müssen sich keine neue Software anschaffen, um die Auskunftspflicht erfüllen zu können. Die Auskunft hat auf der Basis dessen zu erfolgen, was üblicherweise an Technik generell bereits vorhanden ist. Verlage müssen auch nicht ihre Bücher öffnen. Der Auskunftsanspruch bezieht sich auf Dinge, die nicht öffentlich sind und auch nicht nachgelesen werden können. Die Auflagenzahlen der IVW sind jedoch öffentlich und für jeden einsehbar. Diese Zahlen sollten als Auskunft genügen.
Horst Ohligschläger: Nach allem, was wir bisher wissen, bewegen sich die Verlage beim Thema Auskunftsrecht in einer Grauzone. Was für eine Strategie empfehlen Sie den Verlagen?
Dr. Holger Weimann: Grundsätzlich gilt: Je restriktiver Verlage die Auskunftspflicht handhaben, desto höher wird das juristische Risiko. Andererseits sind die Folgen eines Verstoßes nicht existenzbedrohend. Urheber und Verbände können auf die Erfüllung der Auskunft klagen, es gibt aber kein Bußgeld für den Verlag. Am Ende ist es eine Frage von unternehmerischer Bewertung und Fingerspitzengefühl. Wer keinen Ärger mit seinem Betriebsrat haben will, informiert vielleicht umfassend auch seine angestellten Kreativen, andere erteilen nur dort Auskunft, wo Überragendes von freien Journalisten geleistet wurde.